Heute machen wir die Runde voll und fahren zurück nach Khorugh. Zuvor jedoch absolvieren wir zu viert eine kleine Wanderung von unserem Homestay zum Bulunkulsee. Zum Glück ist es relativ flach hier, denn auf ca. 3700 Meter sind wir ganz schön aus der Puste. Wir haben gut geschlafen, unser Fahrer allerdings nicht. Bei ihm zeigten sich schon am Vorabend die typischen Symptome der Höhenkrankheit: Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und nachts dann auch Schlafschwierigkeiten. Am Morgen ist er total übermüdet und friert, denn sein Reisegepäck besteht nur aus einer kleinen Tüte und seine Standardkleidung aus einem Tshirt, einer Jeans und Lederjacke. Er hat keinen Pulli mit, kein Halstuch oder ne Mütze, nicht mal eine Sonnenbrille. Julian gibt ihm seine Daunenjacke für die Wanderung zum See am Morgen, die er erstaunlicherweise auch annimmt. Irgendwann während der Reise sagt Ismail selbst auch, dass er wohl nicht für die Berge gemacht ist. Hahaha, ja, das mag sein.
Die kleine Wanderung zum Bulunkulsee ist sehr schön und eine nette Abwechslung von den die Tage doch dominierenden Autofahrten. Es ist so ruhig hier, man hört nur das Zwitschern der Vögelchen und niemand ist hier. Es macht Spaß über die nassen Flächen seinen Weg zu finden und teilweise auch zu springen. Ich habe da mit den Stöcken schon einen kleinen Vorteil im Vergleich zu den Männern, von denen unser Guide und Fahrer später sogar mit nassen Schuhen zurückkehren. Wir sehen auch ein paar Pferdchen und eine Kuh mit ihrem Kalb. Als wir das Kalb genauer beobachten, bemerken wir, dass es noch sitzt und beim Aufstehen extrem unsicher ist, sogar wieder zusammenbricht. Wir vermuten, dass die Mutter es gerade erst geboren hat. Nach ein paar Versuchen schafft es das Kleine dann aufzustehen, und auf dem Rückweg unserer Wandeung sehen wir, wie die beiden langsam von Dannen ziehen. Toll, dass wir gerade im richtigen Moment ankamen.
Nach der Wanderung haben wir noch etwas Zeit bis zum Mittagessen und erkunden den kleinen Ort. Ich hätte nicht gedacht, dass das soviel Zeit in Anspruch nehmen würde, da dort nur ca. 20 Häuser standen. Das ist die übliche Art vor Ort die Einwohnerzahl zu bestimmen – über die Häuser, das hatte ich schon auf der Wanderung mit dem Dorfbewohner bei Garm Chashma gelernt. Die genaue Einwohnerzahl weiß man da einfach nicht. Naja, zurück zum Thema, wir erkunden also den Ort. Es fängt damit an, dass wir den Besitzer unserer Unterkunft in den Container, der zur Wetterstation gehört und sich direkt vor der Unterkunft befindet, gehen sehen. Als er nach wenigen Minuten herauskommt, sprechen wir ihn an. Er erzählt uns, dass er alle 3 Stunden, Tag und Nacht, die Wetterdaten nach Khorugh übermittelt. Hier herrschen im Winter wohl sogar um die minus 60 Grad Celsius. Er macht das seit 3 Jahren, davor hat das sein Vater 40 Jahre lang gemacht. Er hat damit eine sichere Einkommensquelle. Ausserdem erzählt er, dass er der Lehrer im Ort ist. Er unterrichtet Mathe, Tadschikisch und Russisch. Er hat 5 Jahre in Khorugh studiert und dort einen Wirtschaftsabschluss gemacht, ausserdem hat er 2 Jahre in Murghob die Lehrerausbildung absolviert. Sehr interessant, denken wir, und sind froh, dass ich Russisch spreche, was Vieles hier einfacher und uns unabhängiger vom Guide macht. Am Ende zeigt er uns noch sein Treibhaus, in dem sie Gurken und Kräuter anbauen. Sie haben auch eine Jurte, wie auch ein oder zwei andere im Ort, die sie im Sommer an Touristen vermieten. Jetzt ist es aber noch zu kalt darin zu übernachten.
Auf dem weiteren Spaziergang schauen wir uns die Schule von außen an, kaufen etwas im einzigen Shop im Ort, der extra für uns aufgeschlossen wird, schauen uns die Brunnen an, aus dem eine Frau auch gerade manuell Wasser holt, beobachten einen Nachbarn beim Hausputz, bewundern die Stapeltrockentechnik für den Kuhmist, der zum Heizen verwendet wird, essen frisches Brot, das uns auf dem Spaziergang von einem Dorfbewohner geschenkt wird, erheitern uns an seiner Technik, den Motor des Autos anzuwerfen (ein paar kräftige Schritte gegen das linke Vorderrad haben wirklich geholfen) und genießen einfach die Landschaft und Ruhe. Hier kann man sich richtig gut entspannen, auch, wenn der Ort das auf den ersten Blick nicht vermuten lässt und mit den europäisch erschlossenen Seeerholungsgebieten nicht vergleichbar ist. Uns hat es hier trotzdem richtig gut gefallen und wir sind froh, dieses Highlight durch einen Tag länger im Pamir statt im Norden reingeschoben zu haben.
Beim Mittagessen treffen wir auf die indischen Touristen, die gerade ankommen als wir fertig sind. Unser Fahrer beschwert sich beim anderen Fahrer, dass er ihn über den Zustand der Straße falsch beraten hätte; der andere Fahrer meint, er konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil er sich Sorgen um uns gemacht hatte. Naja, ob das wohl stimmt. Sie erzählen, dass nun Schnee auf dem Pass liegt und der Fahrer zeigt an, dass der Schnee bis zum Knie reicht. Als er jedoch, auf Wunsch unseres Fahrers, ein Video davon zeigt, sehen wir, dass er etwas übertrieben hat, denn, die Straße war frei, und der Schnee kam auch erst nach dem Check-Point auf. Wir sind trotzdem froh schon am Vortag ohne Schnee an den steilen Hängen vorbeigefahren zu sein.
Wir sollen im Verlauf des Tages immer mal wieder auf die indische Gruppe treffen, meistens wird das eine Überholjagd zwischen den Fahrern, die sich gegenseitig etwas hochschaukeln, es bleibt aber eigentlich alles sehr freundlich. Am Abend ruft uns der Fahrer der anderen Gruppe sogar an und empfiehlt uns ein günstiges Hotel in Khorugh. Es ist wohl seine Art sich für den falschen Rat zu entschuldigen, oder, was eher meine Vermutung ist, er bekommt vielleicht doch auch etwas Geld oder vermittelt zumindest an einen Freund, da er selbst aus Khorugh stammt. Wie auch immer, das Hotel ist wirklich toll und, laut unserem Guide, auch gar nicht so viel teurer als ein Homestay. Am Ende will er mit dem Eigentümer einen Deal machen, dass Sie in der Zukunft immer hierher kommen. Wir finden das Hotel auch wirklich klasse und eine nette Abwechslung zu den doch sehr einfach gehaltenen Homestays, wenn auch die Dusche im Hotel wohl Luft führt und daher ab und zu gar kein Wasser mehr rauskommt, es sei denn man öffnet den Wasserhahn am Waschbecken um die Luft abzulassen. Die Unterkunft liegt auch vielmehr im Zentrum als der Homestay, in dem wir auf der Hinfahrt übernachtet haben. Unserem Guide war es dort aber zu kalt, deshalb hatten wir eh nach einer anderen Unterkunft für die Nacht Ausschau gehalten.
Auf dem Weg nach Khorugh sehen wir viele Murmeltiere. Am Vortag hatten wir diese schon gehört, aber noch nicht gesehen, und wir hatten schon ein bisschen Angst, dass uns der Fahrer und Guide nicht glauben, dass es sie gibt. Der Besitzer unsere Unterkunft hatte zwar auch gemeint, dass es hier unendlich viele gibt, aber lang haben wir sie nicht gesehen. Vielleicht auch wegen des schlechten Wetters am Vortag. Jetzt jedenfalls sehen wir massig davon und sie sind eher golden, sehen ganz anders aus als die bräunlichen Murmeltiere in den Alpen, die wir kennen. Unser Fahrer läuft sogar einem hinterher und treibt es in die Enge. Es muss sich unter einem Stein verstecken. Unser Fahrer verletzt sich dabei sogar an einem Stein und wir müssen ihn später noch verarzten. Wir machen eine Nahaufnahme von dem Murmeltierchen, fühlen uns aber auch irgendwie schlecht. Am Besten lässt man die Tiere doch in feier Wildbahn in Ruhe leben.
Am Abend gehen wir noch schnell etwas essen. Sie wollen mit uns wieder in das usbekische Café, aber da Julian sich nach dem letzten Besuch übergeben hatte, gehen wir in ein anderes Restaurant. Julian meint später, den Kellner wiederzuerkennen und fragt sich, ob die beiden Restaurants wohl zusammen gehören, aber unser Guide meint, es kann auch sein, dass er einfach mehrere Jobs hat. Wie auch immer, heute essen wir mal Mantij, das sind mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen. Das nimmt jeder von uns und sie schmecken wirklich sehr gut, wenn auch, wie immer, viel zu viel. Und so geht wieder ein eindrucksvoller Tag im Pamir zu Ende.