Die Stimmung am Morgen ist noch etwas angespannt, legt sich aber später. Am Vorabend wollte unser Guide unbedingt, dass ich entscheide, ob wir heute entweder eine leichte oder schwierige Taggestaltung absolvieren wollen. Ich meinte, dass ich dafür mehr Informationen bräuchte, u.a. ob leicht bedeutet, dass wir nicht, wie vorgesehen, zum Ghuzgharf-Wasserfall wandern, etc. Er wollte mir partout nicht mehr Informationen geben und hat dann irgendwann den Punkt verpasst nachzugeben. Ich habe ihm keine Antwort gegeben, auch, wenn er nicht aufgehört hat mich zu einer Entscheidung zu drängen. Es war eigentlich vollkommen sinnlos, aber irgendwie stand dieses Gespräch wieder einmal stellvertretend für die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft. Ich muss sagen, dass ich mit der überhöhte Rolle des Mannes und der unterwürfigen Rolle der Frau im Islam so gar nicht klarkomme. Ich habe in den letzten Tagen so einige Sachen von unserem Guide gehört, die ich problematisch finde. Z.B. würde er seiner Frau nicht erlauben zu arbeiten, auch, wenn sie das wollen würde, seine Frau soll die Kinder großziehen, den Haushalt schmeißen und, wenn er Freunde einlädt, das Essen zubereiten. Gleichzeitig nennt er seine Frau arm und sich selbst reich, er erzählt, dass sie 6 Jahre jünger ist als er und, dass er ihr Vieles erst beigebracht hat. Obwohl unser Guide sich auch wirklich gut um seine Frau zu kümmern scheint, stört mich die Abhängigkeit seiner Frau von seinem guten Willen. Immer wieder während der Tour scheint er auch mich erziehen zu wollen. Einmal fragt er mich, warum ich, wenn er etwas erzählt, immer „Mmh“ sage und ich erkläre, dass das ein Laut der Zustimmung ist, um sich beim Bejahen nicht ständig zu wiederholen. Er antwortet darauf, dass seine kleine Tochter das auch immer machen würde und er ihr immer sagt, dass sie doch ja oder nein sagen soll und nicht mhm. Ein anderes Mal erklärt er mir, wie ich beim Wandern die Füße zu stellen habe, weil ich, so wie wir alle, auf den Kieselsteinen ab und zu wegrutsche. Bei Julian macht er das nie, obwohl auch er mmh sagt oder wegrutscht. Gleichzeitig kommen dann beim Wandern manchmal so Kommentare, dass ja auch seine Frau manchmal Recht hätte und gleiches sagt er dann auch zu Julian über mich, als wäre das eine Ausnahme. Überall habe ich das Gefühl, dass er denkt, der Mann wäre besser als die Frau, hätte mehr Rechte und, dass die Frau sich unterzuordnen hat und immer das zu machen hat, was der Mann sagt. Ihm nicht ohne weitere Infos auf seine Frage zu antworten, war für mich eine Art Rebellion. Ich komme mit diesem Rollenverständnis einfach nicht klar und je länger ich hier bin, um so mehr stört es mich.
Aber zurück zu unseren Abenteuern. Vom Iskanderkul fahren wir zunächst nach Safed Dara, dem einzigen Skiort Tadschikistans. Er liegt auf 2200 Metern und ist für unsere Verhältnisse doch eher klein, mit nur 2 oder 3 Liften. Auf der Fahrt dorthin fahren wir durch den Anzobtunnel und sind erstaunt, dass das Erlebnis noch angsteinflößender ist als die Fahrt durch den Sharistontunnel auf dem Weg von Khujand nach Panjakent vor ein paar Tagen. Der Sharistontunnel hatte auch kein Licht und es fehlten auch dort Markierungen auf der Fahrbahn und an der Seite. Man fühlt sich wie in einer dunklen Höhle. Zusätzlich herrscht im Anzobtunnel aber auch noch Nebel, der durch den aufgewirbelten Staub entsteht, das heißt, selbst mit Fernlicht sieht man nichts und schleiht durch den Tunnel. Unser Guide stellt auch die Lüftung aus, denn die Luftqualität im Tunnel ist entsprechend schlecht. Im Reiseführer habe ich sogar gelesen, dass im Tunnel schon Menschen zu Tode gekommen sind, wenn jemand eine Reifenpanne hatte und man weder zum einen, noch zum anderen Ende hinausfahren konnte. Es gibt nämlich kein Belüftungssystem, ausserdem scheint es an allen Enden zu tropfen und es bilden sich überall Pfützen. Es scheint als würde zumindest eine Seite des Tunnels im Moment renoviert werden. Ich hoffe, sie bauen dann auch Lichter und eine Belüftungsanlage ein. Trotz der unübersichtlichen Situation im Tunnel, überholen immer mal wieder Autos. Es gibt nur eine Spur in jede Richtung.
Auf dem Weg nach Safed Dara sehen wir überall tadschikische Fahnen, und auf einem Plakat sind der tadschikische Präsident und der Emir von Katar abgebildet. Es stellt sich heraus, dass die beiden sich heute in einem kleinen Schloss etwas unterhalb von Safed Dara treffen. Wir dürfen, nach Rücksprache mit der Polizei, aber noch durchfahren, da wir rechtzeitig zurückkommen werden. Überall auf dem Weg zum Schloss sehen wir kräftig leuchtende tadschikische Fahnen aufgehängt, ausserdem wird schnell noch die Mittellinie auf der Straße nachgezogen und die Frauen im Dorf putzen die Straße entlang der Dörfer, die passiert werden. Es ist irgendwie witzig dieses Spektakel zu sehen und erinnert an sowjetische Zeiten. Julian fällt der Begriff „Potemkinsche Dörfer“ ein, der die Situation ganz gut beschreibt. Der Präsident ist aber auch ohne Besuch allgegenwärtig. An jeder Ecke hängen Fotos und Zitate von ihm. Das Ausmaß davon kann man sich als Europäer kaum vorstellen, an jedem öffentlichen Gebäuden, oft am Ortseingang, aber wir haben auch in und um vielen privaten Gebäuden seine Sprüche Bilder gesehen (z.B. als Leuchtschrift in einer Kantine in Duschanbe oder als schlecht gemachte Fotomontage beim Skifahrem im Artuch Camp). Man fragt sich schon irgendwie, was der Hintergrund ist und wer das sinnvoll oder notwendig findet.
Danach fahren wir zum Wasserfall. Der Guide fährt sogar näher ran, damit wir weniger Hm machen müssen. Auf den nur 3 Kilometern Wegstrecke machen wir am Ende fast 700 Hm, also fast soviel wie am Kuli-Kalon See. Das hatten wir irgendwie nicht erwartet und nur 1l Wasser mitgenommen. Unser Guide hat gar kein Wasser dabei, trinkt nur etwas aus dem Wasser am Wasserfall. Witzig ist, dass wir auf der Wandeung Ayat und seinen Vater treffen. Ayat wartet unten mit einem Mann, dem die Wanderung zu anstrengend ist und Ayats Vater treffen wir auf dem Weg nach oben als dieser mit einer ca. 70-jährigen Georgierin schon wieder auf dem Rückweg vom Wasserfall ist. Wir sind erstaunt, dass die Frau so fit ist. Ich unterhalte mich auch ganz gut mit ihr auf Russisch und nur ganz kurz mit Ayats Vater bevor wir weiterziehen. Endlich am Wasserfall angekommen, genießen wir die Zeit dort, essen etwas und baden. Bei der brütenden Hitze lässt es sich hier gut aushalten.
Am frühen Abend erreichen wir Duschanbe und erfahren im Hotel, dass wir uns hätten registrieren müssen. Das Hotel meint, wir müssten 20 EUR pro Person bezahlen plus 100 Dollar Strafe, wobei Julian das wohl nicht machen muss, nur ich, da ich länger als 10 Werktage in Tadschikistan bin. Die Aufregung ist groß und so rufe ich meine Kollegen vor Ort an, die uns am Folgetag helfen noch schnell vor dem Abflug die Registrierung zu machen. Der Hotelmitarbeiter meinte, ohne Registrierung könnten wir nicht ausreisen. Am Ende kostet es 25 USD pro Person und wir müssen keine Strafe zahlen. Wir sind erleichtert, dass uns geholfen wird und es an Ende auch keine Probleme bei der Ausreise gibt.
Nach dem Schock wegen der Registrierung gehen wir etwas essen. Wir haben mit dem Guide ausgemacht, dass er schon früher zu seiner Familie zurückkehren kann und wir zu zweit etwas essen gehen. Ich wollte mit Julian unbedingt in das Restaurant Foreli, in dem ich mit meinen Kollegen zwei Mal war und in dem der Fisch so lecker ist. Es liegt direkt am Fluss. Unser Guide setzt uns dort ab, nachdem wir uns schnell frisch gemacht haben. Obwohl wir nicht reserviert haben, ergattern wir einen Tisch draußen mit Blick auf die Duschanbinka. Ich manage das Bestellen des Essen auf Russisch, was ich nicht so mag, da man in diesem Kulturkreis immer tausend Sachen bestellt, d.h. einen Salat hier, einen Salat dort, Brot und Fisch zum Teilen, noch eine Beilage und Saft. Puh, geschafft. Es ist nicht die Sprache, die mich stresst, sondern das Zusammenstellen, aber zum Glück hilft Julian mit und am Ende ist es reichlich und super lecker. Julian schmeckt es und er mag es hier. Mir war es wichtig ihm auch mal diese Essensmöglichkeit zu zeigen. Wir haben in den letzten Wochen immer gut, aber doch recht einfach gegessen und die Qualität des Essens in diesem Restaurant ist schon viel besser und das, bei angenehmen Preisen.